Die Ausstellung

«Muss ich mich ent­schul­di­gen für den «Rausch»? Andere sau­fen sich dumm und däm­lich «ins Hoch» oder hel­fen nach mit was weiss ich für Substanzen – bei mir rei­chen offen­sicht­lich die eige­nen Hormone, um mich in Euphorie zu ver­set­zen.»

In der Einleitung zur aktu­el­len Ausstellung «Schreibrausch» im Museum Strauhof in Zürich ist kei­ne Rede von die­sen Hormonen. Sie the­ma­ti­siert vom 10. Februar bis 7. Mai 2017 ein­drück­lich die Verbindung eksta­ti­scher Momente und lite­ra­ri­scher Inspiration. Als «furor poe­ti­cus» exis­tiert seit der Antike die Vorstellung, dass wah­re Literatur nur im Zustand rausch­haf­ter Entrückung geschrie­ben wer­de. Die Kuratoren Andreas Schwab und Magnus Wieland woll­ten die­ses Phänomen in all sei­nen Höhen und Tiefen aus­lo­ten.

Der Topos des «furor poe­ti­cus» fin­det sich in der Renaissance wie im Geniekult der Goethezeit wie­der und erlebt ein erstaun­li­ches Revival in der Moderne, pro­mi­nent etwa bei Kafka und Rilke. Und noch in unse­ren Tagen erzäh­len vie­le Autorinnen und Autoren von der Erfahrung eines «Schreibrausches». Die Schilderung aus­ser­ge­wöhn­li­cher Entstehungsbedingungen gehört fast schon obli­ga­to­risch als Begleitnarrativ zum lite­ra­ri­schen Text dazu.

Die Ausstellung ver­folgt die ver­schie­de­nen Stadien im Schreibprozess: von der noto­ri­schen Blockade bis zu exzes­si­ven Formen der Graphomanie. Die BesucherInnen sind ein­ge­la­den, in die fas­zi­nie­ren­de Welt dich­te­ri­scher Inspiration ein­zu­tau­chen und den Rausch der Kreativität in Schriftbildern, Schreibszenen und schrift­stel­le­ri­schen Selbstaussagen zu erkun­den. Mit Exponaten von Peter Bichsel, Hermann Burger, Jean Cocteau, Friedrich Dürrenmatt, Marie von Ebner-Eschenbach, Jack Kerouac, Thomas Mann, Friederike Mayröcker, Mariella Mehr, Paul Nizon, Meret Oppenheim, Marcel Proust, Robert Walser, Adolf Wölfli u.v.m.

Damit es Kunst gibt, damit es irgend ein ästhe­ti­sches Thun und Schauen gibt, dazu ist eine phy­sio­lo­gi­sche Vorbedingung unum­gäng­lich: der Rausch.

Friedrich Nietzsche

Zum einen ist die Ausstellung den diver­sen Schreibprozessen und ‑prak­ti­ken gewid­met: Wie bringt man sich zum Schreiben? Was tun, wenn es nicht läuft? Diese Frage treibt Schriftstellerinnen und Schriftsteller seit jeher um. Und sie bedie­nen sich dabei ver­schie­de­ner Methoden, um in Schreibfluss zu gelan­gen, der sich dann bes­ten­falls bis zum Schreibrausch stei­gern kann. Neben sub­stan­ti­el­len Enthemmern wie Alkohol, Opiaten und ande­ren Stimulanzien gibt es auch expe­ri­men­tel­le Techniken, um ein gelös­tes Schreiben zu beför­dern – so zum Beispiel die «écri­tu­re auto­ma­tique» der Surrealisten oder das Cut-Up-Verfahren der Beat-Literaten. Nicht zuletzt zie­len sol­che Experimente im Resultat auch dar­auf ab, durch die Texte selbst einen Rauschzustand zu erzeu­gen oder min­des­tens eine rausch­haf­te Wahrnehmung zu simu­lie­ren.

Zum ande­ren beleuch­tet die Ausstellung dann spe­zi­fi­sche Ausprägungen rausch­haf­ten Schreibens: So schwie­rig der Anfang mit­un­ter auch sein kann – umso grös­ser ist die Euphorie, wenn das Schreiben plötz­lich wie von selbst läuft. Die Literaturgeschichte kennt zahl­rei­che Aussagen, die von sol­chen Momenten höchs­ter Produktivität spre­chen. Doch wie mani­fes­tiert sich der flüch­ti­ge Augenblick des Rausches? Blitznotizen, rand­voll beschrie­be­ne Blätter, ver­dich­te­te Texte oder hek­ti­sche Schriftzüge, ellen­lan­ge Papierrollen und mehr­fach ange­kleb­te Manuskriptstreifen zeu­gen noch heu­te sicht­bar von der beson­de­ren Intensität beim Schreiben. Nicht immer ent­steht dabei Sinnvolles und Verständliches. Der Rausch ist nur die eine Seite, auf ihn fol­gen oft zähe Stunden der Überarbeitung.

Die Ausstellung geht den Spuren und Geschichten solch rausch­haf­ter Schreibmomente nach und stellt schliess­lich auch die Frage nach der Kehrseite des Rausches: sei­ner läh­men­den Wirkung sowie sei­ner patho­lo­gi­schen Seite bei zwang­haf­tem Schreibverhalten.  ▬

Quelle: www.strauhof.ch